Individuelle  Reha-Verläufe


Welche Hürden können bei der Vermittlung zur beruflichen Integration von insbesondere psychisch schwer erkrankten Menschen auftreten? Und wie lassen sich diese überwinden? 

Die im Folgenden vorgestellten Fallvignetten geben darüber Auskunft. Sie wurden mit Unterstützung des Sozialen Dienstes der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Leipzig erstellt. Ziel ist es, unterschiedliche Konstellationen hinsichtlich Behandlungsstatus und der anvisierten beruflichen Integrationsmaßnahme für den Adressatenkreis herauszukristallisieren und so dem Nutzer hilfreiche Beispiele für eine Anwendung des Teilhabekompasses zu bieten.

1 | Mario L.* (24 Jahre)

Die erste Vignette stellt den Krankheits- und Behandlungsverlauf eines Patienten vor, der sich in hausärztlicher Behandlung befand und aus diesem Setting heraus eine Überweisung in eine PIA bekam. Ziel ist es, unter den dortigen multimodalen Bedingungen der fachärztlichen, psychotherapeutischen, sozio- und ergotherapeutischen Maßnahmen berufliche Integrationsmaßnahmen zu initiieren.

Aktueller beruflicher Status

  • arbeitslos
  • Ausbildungsplatz suchend

Krankheitsgeschichte

  • Drogenkonsum seit dem 13. Lebensjahr
  • Diagnose der Suchterkrankung im 16. Lebensjahr durch Hausarzt: Multiple Substanzabhängigkeit (F19.2), aktuell abstinent
  • Symptome der Schizophrenie im 17. Lebensjahr
  • Diagnose der Schizophrenie im 20. Lebensjahr durch Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie: Paranoid-halluzinatorische Schizophrenie (F20.0)
  • keine anschließende fachärztliche Behandlung bis zur Akutvorstellung in der PIA

Behandlungsziele

  • Fortführung der Abstinenz
  • Unterstützung im Bereich „Arbeit“ und „Finanzen“ (Schuldenregulierung)
  • eigene Wohnung

Schulisch-beruflicher Werdegang

  • Schulabbruch in Klasse 8
  • Hauptschulabschluss im Rahmen einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme (BvB) der Agentur für Arbeit nachgeholt
  • Beginn der Ausbildung zum Metallbauer
  • Abbruch der Ausbildung und somit ohne Berufsabschluss

Soziales Umfeld
Familie / Freunde

  • ledig, keine Kinder
  • Eltern (sporadisch)
  • Großeltern (bei diesen wohnhaft)

Professionelles Helfersystem

  • Hausarzt (bei Bedarf)

Berufliche Integrationsmaßnahmen
Vorstellung in PIA führt zu

  • Berufswegplanung
  • Beantragung einer Bildungs- / LTA-Maßnahme (berufliche Reha) mit dem Ziel der beruflichen Qualifikation
  • Unterstützung bei Wohnungswechsel und Entschuldung
  • danach Kontaktherstellung zum Integrationsfachdienst (IfD):
    Arbeitgeberkontakt und -zuschussbeantragung 

Parallel dazu

  • Vermittlung in Suchtberatungsstelle
  • Durchsetzung der Anerkennung des Schwerbehindertenstatus (GdB 50)

2 | Bettina C.* (53 Jahre)

Die zweite Vignette stellt eine Patientin vor, die im Rahmen ihrer Behandlung bei einem niedergelassenen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie über Stufenweise Wiedereingliederung nach dem „Hamburger Modell“ auf ihren bestehenden Arbeitsplatz zurückkehrt.

Aktueller beruflicher Status

  • berufstätig als Verkäuferin
  • aktuell arbeitsunfähig (11. Woche)

Krankheitsgeschichte

  • Symptome der Depression im 26. Lebensjahr
  • Diagnose der Depression im 28. Lebensjahr durch Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie: Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode (F33.1)
  • wiederholte stationäre Aufenthalte in einer Psychiatrie

Behandlungsziele

  • berufliche Wiedereingliederung beim bisherigen Arbeitgeber
  • Gleichstellung (aktuell GdB 30) 

Schulisch-beruflicher Werdegang

  • Realschulabschluss (10. Klasse)
  • Tätigkeit in der Milchwirtschaft (bis 1990)
  • Umschulung zur Bürokauffrau (Abschluss 1997)

Soziales Umfeld
Familie / Freunde

  • Ehemann
  • 2 erwachsene Kinder (beide mit eigenem Haushalt)
  • Arbeitskollegen

Professionelles Helfersystem

  • Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie (regelmäßig)
  • Selbsthilfegruppe Yes we can! (regelmäßig) 

Berufliche Integrationsmaßnahmen
Abstimmung einer Stufenweisen Wiedereingliederung nach dem „Hamburger Modell“

  • z. B. über einen Zeitraum von 4 Wochen: 1. und 2. Woche 3 Stunden, 3. und 4. Woche 6 Stunden
  • Einschränkung: keine Wechselschicht
  • Patientin bleibt in dieser Zeit arbeitsunfähig und bezieht weiterhin Krankengeld

Alternativ

  • Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM)
  • Beantragung der Gleichstellung bei der Agentur für Arbeit zur Sicherung des Arbeitsplatzes (Kündigungsschutz u. a.)
 3 | Ibrahim P.* (47 Jahre)

Der dritte Patient, der sich aktuell auf der Suche nach einer Anstellung befindet, wird von seinem niedergelassenen psychiatrischen Facharzt an eine ambulante Soziotherapie überwiesen. Mit deren Hilfe sollen berufliche Integrationsmaßnahmen veranlasst werden. Begleitend wird eine ambulante Psychotherapie empfohlen. 

Aktueller beruflicher Status

  • arbeitssuchend
  • aktuell arbeitsunfähig (2. Woche)

Krankheitsgeschichte

  • Beschreibung von Ängsten seit dem Schulalter
  • Diagnose der Angststörung im 46. Lebensjahr durch niedergelassenen Psychologen: Generalisierte Angststörung (F41.1)

Behandlungsziele

  • Alltagsbewältigung
  • soziale Integration
  • später: Unterstützung bei der Stellensuche

Schulisch-beruflicher Werdegang

  • Abitur
  • Diplom als Informatiker

Soziales Umfeld
Familie / Freunde

  • geschieden
  • Kind: Tochter, 8 Jahre (lebt bei der Kindsmutter)
  • keine weiteren sozialen Kontakte

Professionelles Helfersystem

  • Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie (regelmäßig)

Berufliche Integrationsmaßnahmen

  • Vermittlung einer ambulanten Psychotherapie
  • Verordnung ambulanter Soziotherapie mit dem Ziel der Vermittlung an regionale Arbeits- / Erwerbslosen-Beratungsstellen (Profiling, Bewerbungstraining, Arbeitsvermittlung)

4 | Elke A.-S.* (32 Jahre)

Die vierte Vignette beschreibt eine Patientin, die einen Zugang zum professionellen Helfersystem benötigt. Besonders geeignet erscheinen hier neben psychiatrisch-psychotherapeutischen Maßnahmen die Anbindung an Beratungsdienste des zuständigen Reha-Trägers bzw. des Integrationsfachdienstes.

Aktueller beruflicher Status

  • arbeitsfähig
  • aktuell arbeitslos (Beruf kann krankheitsbedingt nicht länger ausgeübt werden, Berufsunfähigkeit ist bescheinigt)

Krankheitsgeschichte

  • Diagnose im 23. Lebensjahr im Rahmen einer psychiatrischen tagesklinischen Behandlung (initiiert durch Hausarzt): Emotional instabile Persönlichkeitsstörung (F60.3) 

Behandlungsziele

  • berufliche Neuorientierung / ggf. Umschulung
  • Erwerb und Festigung sozialer Kompetenzen (Konfliktvermeidung / -bewältigung)

Schulisch-beruflicher Werdegang

  • Realschulabschluss (10. Klasse)
  • Berufsabschluss als Erzieherin

Soziales Umfeld
Familie / Freunde

  • getrennt lebend
  • Kinder: Tochter, 15 Jahre und Sohn, 8 Jahre
  • Kinder leben bei der Patientin
  • Freundeskreis

Professionelles Helfersystem

  • keine Kontakte

Berufliche Integrationsmaßnahmen

Überweisung in Integrierte Versorgungsstruktur: Verbund gemeindenaher Psychiatrie oder PIA

  • Vermittlung an einen Reha-Berater des zuständigen Reha-Trägers oder / und an einen Integrationsfachdienst:
  • Unterstützung bei der Suche nach einer Ausbildung / Umschulung ggf. im Rahmen einer Bildungs- / LTA-Maßnahme (berufliche Reha)

Soziales Kompetenztraining (SKT)

  • Versicherungsfall auf Grund von Berufsunfähigkeit (BU) geltend machen, wenn private Absicherung vorhanden

* Namen redaktionell geändert

Mehr erfahren